Bestie Mensch
Spurensuche nach Hintergründen von Gewaltverbrechen
(DiensTalk vom 24. März 2009)
Internationale und nationale Vorfälle legten die Frage nahe, ob in jedem Menschen „eine Bestie steckt“, spielte LGF Bernhard Rinner in seiner Einleitung zum jüngsten DiensTalk in der VP-Landesparteizentrale auf den Amoklauf im deutschen Winnenden und den Fall F. in Österreich an.
Auf die Spurensuche nach Hintergründen von Gewaltverbrechen begaben sich die Podiumsreferenten Mag. Caroline List, Richterin am Oberlandesgericht Graz, Rechtsanwalt Mag. Martin Maier, stv. Landesleiter des Weißen Rings, und die Psychiaterin und Gutachterin (Wiener Hackenmörder) Dr. Sigrun Roßmanith. Es moderierte Eva Weissenberger.
Die Bestie Mensch gibt es nicht!
Schon der Titel der Veranstaltung sorgte für Gesprächsstoff und veranlasste Caroline List, Richterin am Oberlandesgericht Graz, zur Berichtigung des Vorurteiles, dass Gewaltverbrecher Bestien seien. „In meiner 15-jährigen Tätigkeit als Richterin ist mir die ‚Bestie Mensch‘ noch nicht begegnet. Vielmehr gibt es eine situationsbedingte Wandlung von Menschen, die zu einem Gewaltverbrechen führt.“ Diese Einschätzung teilte auch die Psychiaterin Dr. Sigrun Roßmanith. „Verbrecher als Bestien zu bezeichnen führt eher dazu, dass sich ein Großteil der Menschen gut fühlt, weil man das ‚Böse‘ auf einen öffentlich bekannten Täter reduzieren kann. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus: 90% aller Sexualstraftaten kommen nie ans Tageslicht. Wer sagt also, dass der Fall Fritzl ein Einzelfall eines bestialischen Verbrechers ist?“ Gegen den Begriff „Bestie“ sprach sich auch Opferschützer Martin Meier aus. „Strafprozesse dürfen nicht zu Hexenprozessen mutieren. Vielmehr ist ein nüchterner und sachlicher Zugang notwendig, bei dem Opfer Ernst genommen werden und der ein faires Verfahren auch für den Angeklagten garantiert. Der Begriff ‚bestialische Tat‘ hat daher in einem Strafprozess nichts verloren, übermediale Präsenz gefährdet vielmehr ein für alle Beteiligten faires Verfahren.“
Gibt es den geborenen Verbrecher?
Auch in dieser Frage waren sich die ReferentInnen einig. „Den geborenen Verbrecher gibt es nicht!“, stellte Sigrun Roßmanith klar. „Vielmehr gibt es viele Faktoren, die Menschen dazu verleiten, ein Verbrechen zu begehen: Die eigene Herkunft, der persönliche Umgang, soziale Beziehungen etwa zu den Eltern oder die Zugehörigkeit zu einem Milieu spielen genauso eine Rolle, wie persönliche Anlagen und Temperamentsfaktoren. Also eine wechselseitige Verquickung verschiedenster Einflussfaktoren.“ Richterin List und Opferschützer Meier ergänzten diese Analyse um die Suchtproblematik als Triebfeder für Verbrechen. „Der Missbrauch von Alkohol, Drogen und Medikamenten und die damit verbundene Beschaffungskriminalität treibt heute Menschen dazu, Dinge zu tun, die man ihnen niemals zutrauen würde und erzeugen Kriminalitätsfälle, die an der Grenze zur Zurechnungsfähigkeit liegen.“ Ein Problem, das sich in den letzten Jahren zunehmend verschärft hat, wie alle Teilnehmer bestätigten.
Die „Bestie Mensch“ gibt es also nicht, wenngleich in vielen von uns offenbar ein Täter schlummert.